Es kann sein, dass jemand es nicht schafft, seine Erfahrung irgendwie zu verarbeiten: er kann nicht darüber reden, man glaubt ihm nicht, er hat keine Gesprächspartner, er kann sich nicht so richtig ablenken, er ist nicht in der Lage, seine Träume auszuhalten, er betrinkt sich häufig oder nimmt viele Medikamente.

Wenn die Intrusionen nicht verarbeitet werden, dann können sie getriggert werden, d.h.: Sie können angestoßen werden. Dann kann jemand so verrückte Verhaltensweisen entwickeln wie gerade bei einem Zebrastreifen nicht über die Straße zu gehen, oder Umwege zu machen, um keine Zebrastreifen zu sehen. Oder er entwickelt irgendwelche Zwangsrituale: erst muss viermal nach rechts und links geguckt werden, bevor er über den Zebrastreifen gehen kann.

Nicht hinter jeder Phobie, nicht hinter jedem Zwangsritual, nicht hinter jedem depressiven Zustand, nicht hinter jeder Sucht steht ein schweres Trauma. Es ist aber hilfreich, dies als eine Möglichkeit mit zu bedenken, insbesondere dann, wenn die Symptome sich nicht so gut auf die Kindheit beziehen lassen.

Besonders schwierig wird es dann, wenn es sich nicht um ein unvorhergesehenes, unvorhersehbares Monotrauma handelt, sondern wenn Sie in einer Lebenssituation sind, in der Sie damit rechnen müssen, traumatisiert zu werden: Wenn Sie z.B. in einer Familie sind, wo Sie damit rechnen müssen, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen traumatisiert zu werden - und sich darauf schon einstellen können.

Völlige Hilflosigkeit in einer Situation der Lebensgefahr ist für Säugetiere potentiell lebensgefährlich. Das ist wesentlich im Hinterkopf zu behalten. Wir Menschen haben eine Möglichkeit, die auf der einen Seite unser Segen ist, auf der anderen Seite unser Fluch. Wir ertragen zu viel! Und zwar deshalb, weil bei uns die kognitiven Strukturen, das Frontalhirn, einen sehr großen Einfluss haben.

Mit diesen kognitiven Strukturen können wir umschalten, können die Realität verändern, können sagen: "Ich bin gar nicht da, ich schalte ab". Wir können depersonalisieren, sagen: "Ich steige aus meinem Körper aus, ich stehe daneben, ich nehme das gar nicht wahr, was mit meinem Körper geschieht." Und wir können induziert derealisieren: Dann sind wir in einer anderen Welt. Gefangene in einer engen Zelle erschaffen sich eine riesige Phantasiewelt, in der sie ihren Raum verlassen können. Diese Möglichkeiten haben wir

Diese Möglichkeit ist nun eine Überlebensstrategie bei schwerer Traumatisierung. Viele, die misshandelt und missbraucht worden sind, berichten: "Ich bin dann oben auf dem Schrank gesessen und habe das nur noch von oben gesehen. Ich bin neben mir gestanden, ich war ganz wo- anders." Das ist eine Dissoziation, ein induzierter Derealisationszustand. Solche Prozesse ermöglichen uns das Überleben oft schwerer Traumatisierungen.

Man hat festgestellt, dass es umso wahrscheinlicher ist, dass wir eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung bekommen, je besser wir in der traumatischen Situation dissoziieren. Das ist das Dilemma: Je besser akut die Dissoziation klappt, umso schwerer fällt die Verarbeitung. Was nämlich jetzt im Gehirn gespeichert ist als - wie ich gerne sage - "Erinnerungsabszeß" und was nicht verarbeitet werden kann, ist nicht die traumatische Erfahrung sondern ein Konglomerat aus Fetzen des Traumas, der traumatischen Situation und der Dissoziation, eine Mischung aus Depersonalisation, Derealisation und Fetzen der traumatischen Erfahrung.

Das wird dann evtl. getriggert, durch Gewitter, durch knarrende Bohlen, durch plötzliche Dunkelheit, durch einen Knall oder sonst etwas, und das bedeutet, dass dann die Zustände nicht klassische Intrusionen sind, sondern eine Mischung aus Trauma und Verarbeitung. Es stellt sich ein Zustand ein, der gekennzeichnet ist durch Depersonalisation und Wirklichkeitsverlust, die Wahrnehmung verändert sich, alles kommt durcheinander und die Leute brechen ein, ticken aus, rasten weg, sind im falschen Film, haben einen Erregungszustand und können sich nicht mehr orientieren. Dieser Zustand des Kontrollverlustes ist ausgesprochen beunruhigend und ängstigend.

Das ist ein übler Zwischenzustand, in dem man wach ist und der Alptraum weiterläuft. dann kommt langsam die Realität wieder und es ist wieder gut: "Aha, hier bin ich, wie komme ich denn hier hin, ach so, ja . . .",

Jetzt hört aber der Alptraum nicht auf, sondern läuft weiter; dann haben Sie meines Erachtens den Zustand einer Patientin, die getriggert ist, dissoziative Zustände hat und in zwei Wirklichkeiten gleichzeitig ist. Das ist ein scheußlicher Zustand

Dieser Zustand lässt sich gut beenden, nämlich durch einen Hautschnitt. Ich wüsste gerne, warum. Aber das beste Antidissoziativum ist eine Selbstverletzung der Haut. Innerhalb von 15 bis 30 Sekunden, manchmal dauert es auch eine Minute, ist der Kopf wieder klar, die Affekte sind geordnet, die Sprache steht wieder zur Verfügung, der Druck ist raus, die Leute haben sich abgeregt, sie sind wieder in der Gegenwart und die ganze Sache ist vorbei.

Der Körper ist in einem Zustand der Depersonalisation in einem Überendorphinzustand. Depersonalisation ist verbunden mit einer körperlichen Endorphinvergiftung

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