Welche Tradition gibt es in der Behandlung von Traumata? Seit Janet und seit den ersten Arbeiten zur Behandlung von Kriegsneurosen taucht immer wieder die Idee auf, das Trauma müsse noch einmal durchlebt und dabei abreagiert werden; danach sei es nicht mehr innerseelisch schädlich.

Das hilft bei etwa der Hälfte, die andere Hälfte wird immer kränker. Heute macht man das auch anders. Man erkannte : Intrusionen und Flashbacks überfordern und überlasten den Betroffenen. Intrusionen und Flashbacks sind immer wieder Retraumatisierungen: man hat das Gefühl, man hat die Sache nicht unter Kontrolle, und bei dieser Art von Psychotherapie tun wir genau das Gleiche! Es muss also anders gehen. Daraus hat sich dann aus der Hypnotherapie eine Tradition entwickelt, hauptsächlich bei den Holländern, die darin besteht zu sagen: Wir müssen die Traumaexposition vorbereiten. Diese Vorbereitung besteht darin, dass gesagt wird: Die Copingstrategien der Patienten sind gut, etwas besseres fällt mir als Therapeuten auch nicht ein.

Was macht die Patientin?

Jede gute Borderline-Patientin spaltet in "nur gut" und "nur böse". Eine solche Aufspaltung der Welt in "nur gut" und "nur böse" ist das Beste, was nach einer Traumatisierung gemacht werden kann! Das spielt in allen Märchen eine Rolle: Die Mutter stirbt, die Stiefmutter kommt, und es gibt eine frühere nur gute und eine spätere nur schlechte Welt. Das ist in allen Mythen der Fall, da gibt es die nur Guten und die nur Bösen. Das schafft Ordnung in den Affekten, das ist etwas, was wir offenkundig nach schlimmen Lebenserfahrungen brauchen: eine nur gute und eine nur schlechte Welt.

Das Dilemma ist. Dass dies leider im wirklichen Leben nicht stimmt. Menschen sind immer "teils-teils", widersprüchlich, gegensätzlich, nie "nur gut" oder nur böse. Wenn Patientinnen sagen: "Menschen sind nur schlecht", dann sind sie allein und haben überhaupt keine leidlich guten zwischenmenschlichen Beziehungen mehr. Die Therapiestrategie beinhaltet daher: "Gehen Sie für wenige Minuten in eine nur gute Phantasie-Welt". In dieser nur guten Welt soll es einen Ort erdacht werden, der nur gut und nur sicher ist. Die Vorstellungswelt soll immer märchenhaft sein, immer unrealistisch, immer weg von menschlichen Vorstellungen.

Die zweite Strategie ist: Innere Helfer zu (er)finden, d.h. Gestalten für Mut, für Stärke, für Weisheit. Das können Tiere sein, das können Feen sein, das können Zauberer sein, das können Heilige sein, das können Steine sein, wie auch immer, aber wiederum keine Menschen.

Und dann ein innerer Tresor, in den schlimme Erfahrungen und Bilder weggepackt und eingeschlossen werden können. Manchmal muss man das mehrfach täglich üben. Es ist aktive innere Verdrängung, ein aktives Bei-Seite-packen, um nicht zu viel in Flashbacks und Intrusionen hineinzukommen.

Die Patientin sagt dann vielleicht: "Schöne Bilder helfen mir nicht." Dann sage ich: "Sie haben mir gerade lang und breit erläutert, dass Sie irgendwelche schlimmen Bilder von Sachen, die 15 Jahre zurückliegen, völlig aus der Bahn werfen können, dass Sie dann die Symptome kriegen und es Ihnen schlecht geht. Schlechte Bilder wirken bei Ihnen, ich bin sicher, gute wirken auch. Außerdem gibt es einen ganzen Industriezweig, der fest davon überzeugt ist, dass gute Bilder wirken, das ist die Werbung; die geben Millionen dafür aus, dass Sie schöne Bilder vor Augen haben und dann Marlboro rauchen oder Camel-Schuhe tragen. Das bedeutet, gute Bilder sind wirksam. Davon bin ich überzeugt, und ich möchte, dass Sie darin sich trainieren, gute Welten aufzusuchen. Lernen Sie zu derealisieren, lernen Sie zu dissoziieren, trainieren Sie sich in den Fähigkeiten, die Sie sowieso schon haben!"

Für uns ist es inzwischen fast ein Differenzialdiagnostikum, ob jemand mit diesen Techniken gut umgehen kann oder nicht. Wenn ja, ist es meistens jemand, der/dem Dissoziativität vertraut ist, die/der wirklich eine dissoziative Störung hat. Wenn nein, ist es häufig kein postraumatischer Belastungszustand mit Dissoziativität, sondern Resultat einer Entwicklungspathologie mit neurotischen Mechanismen. Dies ist also keine Therapiestrategie, die bei jedem und allen nützt, sondern die für eine Untergruppe schwerer Persönlichkeitsstörungen entwickelt worden ist. Da ist sie sehr wirksam, aber nicht bei jedem und allen. Es geht darum, eine nur gute Welt aufzubauen, die die Patienten vorübergehend aufsuchen können, um sich selber aus dissoziativen Zuständen heraus zu bringen.

Ausschnitte aus: Vortrag Prof. Dr. med. Ulrich Sachsse, Furth, 07. Oktober 1998

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